July 29, 2010

Der höchste Gesichtspunkt des Jesuitismus



07/19'10 Die weltliche Nebenform des Jesuitismus


Mit der Aushebelung – also das trifft es nicht ganz, glaube ich, ist aber eine ziemlich interessante Formulierung, auf die ich zurückkommen werde. Auf die FranzRev und den enorm wichtigen Wiener Kongress sowieso. Aufgrund deiner sich immer mehr zu verdichten scheinenden piusbrüderlichen Gesinnung will ich dir aber erstmal etwas über Thomas Mann verraten, den absoluten Lieblingsromancier von Marcel Reich-Ranicki ... zusammengestellt von Erkme Joseph in ihrem Buch "Nietzsche im Zauberberg" ab S. 175 unter Jesuitismus und Kommunismus:

"In einem Brief an den Georg-Müller-Verlag legt Thomas Mann im Oktober 1921 sein politisches Credo dar. Es ist eine Mischung aus Konservativer Revolution und Bolschewismus – geprägt von allgemeinen Synthese-Versuchen. [...] In diesem Sinne lehnt er Aufklärungsgeist und Fortschrittsoptimismus, wie sie mit der Französischen Revolution zum Zuge gekommen sind, ab. Dennoch will er nicht starrem Konservatismus verfallen. [...] In demselben Brief lässt er erkennen, dass er im Kommunismus unter der Devise: "Alles verneinen, um aus dem Nichts neu aufzubauen [...] den spontan schöpferischen Wesensgrund [sucht], aus dem man frei" wird.
Moderner Sozialismus bzw. Kommunismus – aufgewertet durch ihre Rückführung auf historisch-mittelalterliche Geistigkeit und Geistlichkeit und ergänzt durch Vorstellungen von friderizianischem Règlement – konnten so für T. Mann noch zum Hoffnungsträger für die Zukunft werden. Im Rahmen dieser geschichtlichen Bindung konnte er Forderungen nach absolutem Befehl, eiserner Bindung, Disziplin, Opfer, Verleugnung des Ich, Vergewaltigung der Persönlichkeit akzeptieren, gerade so wie diese Haltung auch Grundlage und Voraussetzung der friderizianischen Staatsauffassung gewesen war.

Dieses Politikverständnis liegt auch noch den beiden Naphta-Kapiteln 'Noch jemand' und 'Vom Gottesstaat und von übler Erlösung' zugrunde, die T. Mann vom Februar bis Juni 1922 schrieb. Bei aller Härte lässt er Naphtas Programm doch noch in annehmbaren Licht erscheinen.
Von der asketisch-strengen Geistigkeit einiger Kommunisten war er tief beeindruckt. Bestätigung dafür mag jener Ausspruch über Lenin sein, den er 1924 veröffentlichte. Er wiederholt bekannte Motive aus unseren 'Zauberberg'-Kapiteln:

'Lenin war ohne Zweifel eine säkulare Erscheinung, ein Mensch-Regent neuen, demokratisch-gigantischen Stils, eine kraftgeladene Verbindung von Machtwille und Askese, ein großer Papst der Idee, voll vernichtenden Gotteseifer. Man wird seiner gedenken wie jenes Gregor, von dem das Heldengedicht sagt: "Leben und Lehre standen nicht miteinander in Missklang." Der selbst gesagt hat: "Verflucht sei der Mensch, der sein Schwert zurückhält vom Blute."'

Ein Abglanz dieser positiven Einstellung dem Kommunisten Lenin gegenüber in seiner Anbindung an mittelalterliche Tradition ist auch noch auf die beiden frühen Naphta-Kapitel gefallen. [...]

Bei Nietzsche fand er zahlreiche kritische Betrachtungen zum Sozialismus. Nietzsche verknüpft gedanklich Dekadenz bzw. Ressentiment, Judentum, Jesuitismus und Sozialismus miteinander. Alle diese Merkmale sind in der Figur Naphtas vereinigt: Als asketischer Priester ist er décadent, also ein Mann des Ressentiments, überdies ist er Jude. Nietzsche verstand die Juden als das 'priesterliche Volk des Ressentiments par excellence'. Und Naphta ist Jesuit.
Für Nietzsche geht der moderne Sozialismus aus dem Jesuitismus hervor:

'Der höchste Gesichtspunkt des Jesuitismus auch des socialistischen' ist ihm die 'Beherrschung der Menschheit durch Aufrechterhaltung der Illusion, des Glaubens'.

Auch stellt er einen Zusammenhang her zwischen 'Jesuitismus', 'Festhalten an der Illusion' sowie 'Buddhismus und Verlangen ins Nichts' mit Blick auf Schopenhauer. Thomas Mann markiert sich den Satz:

'Der moderne Sozialismus will die weltliche Nebenform des Jesuitismus schaffen'."

Es kommt noch besser, noch expliziter – Erkme hat hier exzellente Arbeit geleistet.
Die "Liebesperlen" und der "Frömmigkeitssprenkel" haben mit Verniedlichung übrigens nichts am Hut – sie sind einfach nicht weniger niedlich. You see?



07/19'10 Süße Falle Musik:
Musisches im Dienste des Sakralen und der Macht


"Ausrichtung und Fähigkeit des 'Musischen' [...] gezielt Einfluss auszuüben auf Herz und Gemüt in anmutender Wirkung – Aufmerksamkeit für den Gestaltungsablauf des Sakralen" oder auch "Gestaltungsablauf" der Sklavenarbeit, denn man kann es mit "dem Musischen" auch übertreiben: "The Jesuits' Musical Kingdom" ...

Aus "Macht und Geheimnis der Jesuiten –
Eine Kultur- und Geistesgeschichte" von René Fülöp-Miller, Knaur 1960, S. 441 f.)
"Als die ersten Jesuiten die Flüsse entlang in die Urwälder von Paraguay vorgedrungen waren, schien zunächst jedes Missionswerk unmöglich, denn die Indianer zogen sich immer scheu vor ihnen zurück. Bald aber merkten die Patres, dass, wenn sie in ihren Kähnen geistliche Lieder sangen, alsbald hier und dort Eingeborene aus dem Dickicht auftauchten, ihnen zuhörten und ein ganz besonderes Wohlgefallen an diesen Klängen erkennen ließen. Mit dieser Beobachtung hatten die Missionare aber zugleich auch schon das geeignete Mittel gefunden, um die Indianer aus ihren Wäldern hervorzulocken: Von nun an nahmen die Missionare auf ihren Fahrten Musikinstrumente mit und spielten und sangen, soviel sie konnten.
'Die Indianer fielen in die süße Falle,' schreibt Chateaubriand in seinem "Geist des Christentums", 'stiegen von ihren Bergen herab, begaben sich an das Ufer der Flüsse [...] viele stürzten sich ins Wasser und folgten schweigend dem Zauberboot. Pfeil und Bogen entglitten unbewusst den Händen der Wilden, in ihren Seelen hielt das Vorgefühl höherer Lebensformen und die erste Süße der Menschlichkeit ihren Einzug.' [...]

Die Patres wussten jetzt bereits, dass man mit Chorälen auf die Indianer eine geradezu zauberische Wirkung ausüben konnte, und sie verstanden es, diesen Umstand für ihre Absichten zu benützen. [...] Aus dieser Verbundenheit durch die Musik ging eigentlich anfangs die Struktur dieses im Werden begriffenen Staates hervor, denn nicht zuletzt zum Zweck des gemeinsamen Singens schlossen sich die Indianer, die bis dahin in den Wäldern zerstreut gelebt hatten, immer enger zusammen. [...]
Nahezu das ganze Leben in den Reduktionen von Paraguay spielte sich unter Musikbegleitung ab Schon um fünf Uhr morgens riefen die Trommeln das Volk zur Kirche, wo eine Messe mit viel Gesang, Responsorien und Instrumentalmusik zelebriert wurde, denn die Missionare meinten, 'dass nichts so sehr beitrage, den Indianern Andacht und Geschmack am Gottesdienst einzuflößen und ihnen auch die Lehren selbst fasslicher zu machen, als wenn dieselben in Gesänge gebracht würden.'
Die Indianer waren von Natur aus sehr arbeitsscheu, aber wieder war es die Musik, mit deren Hilfe die Patres ihre angeborene Trägheit zu überwinden wussten. Wenn die Männer des Morgens aufs Feld hinauszogen, marschierte eine Musikkapelle voran, bei Musikbegleitung bestellten sie die Äcker, fällten sie Bäume und errichteten sie Gebäude, mit Musik aßen sie zu Mittag, und mit Musik kehrten sie des Abends wieder in ihre Dörfer zurück.
Der deutsche Protestant M. Bach, der in den 40er Jahren des 19. Jh.s in bolivianischen Staatsdiensten tätig war und hierbei die Überreste der Jesuitenrepublik eingehend studiert hat, erzählt, schon die Kinder der Indianer hätten täglich einige Stunden lang die Musikschule besuchen müssen. Die beständige Übung, zusammen mit einem angeborenen Talent, habe dahin geführt, dass 'selbst in Chören von Tausenden niemals ein falscher Ton erklang.' Richtig singen zu können galt hier gleichsam als erste Bürgerpflicht."

"Bürgerpflicht," "nahezu das ganze Leben" ... Fühlst du dich in unseren musikgesättigten, "postmodernen" Reduktionen allen Ernstes berufen, extra noch "das Musische" zu predigen? Wo viele ohne ständige Musikberieselung garnicht mehr auskommen und Sängerwettstreite zu den beliebtesten allabendlichen Stuben-Glotzpartys gehören? Was soll das? Spielst du jetzt dem Orden offen in die Hände?

Einerseits diagnostizierst du Hypertrophie und ziehst dich in geistige Regionen zurück, in denen du dich von "irdischen Nebeln/Begrenzungen" und "präziser Beschreibung vordergründiger Problemchen" in deiner "gotteskindlichen Ganzheitlichkeit" nicht mehr belästigt fühlst, dann aber würde es dir als überzeugtem Parteigänger der Papisten schon gefallen, wenn Papa Bear Benedetto bzw. sein "unsichtbarer" Geheimdienst- und Regierungschef im Sinne deines gutgeöölten LEGO-Textbaukastens als Weltgeneralssekretär/-pharao/-führer über die "Einheit des Menschengeschlechts, die das notwendige Fundament bildet für eine Verähnlichung der irdischen mit der himmlischen Stadt ["il Papa buono" Roncalli 1962], 'in der die Wahrheit herrscht, deren Gesetz die Liebe, deren Existenz aber die Ewigkeit ist' [Augustinus]", sozusagen die "Richtlinienkompetenz" besitzt, damit diese in ihrem "dreifachen Licht" aus Katholiken, Nichtkatholiken und Nichtchristen auch so richtig schön "erstrahlen" kann. Oder irre ich mich?

"Zu Gottesdiensten versammeln sich auch in der Gegenwart nicht nur Menschen mit zu geringem IQ."
Ja, aber auch nicht nur welche mit zu hohem.



07/20'10 Mars und Meskalin


"Mondlichte Grüße" – und das am hellichten Tag ("17:35") ...
Was meinst du, Lina, ob die wohl angekommen sind?
Pardon, ich meinte natürlich Luna, liebe Lina. Nein, Luna. (Damn!)
Luna Bluna vielleicht in Zukunft? Denn sind wir nicht alle ein bisschen bl..bl..blu.. blubberig?

Der Mars ist also verantwortlich für Weltmeisterschaften aller Art, sei es auf Panzerschlacht- oder Fußballfeldern ... Warum verrät einem das niemand, solange man sich noch auf Collegebänken rumdrücken muss?!
Da zerbreche ich mir jahrelang mein zartes Köpfchen und dann stellt sich plötzlich als frappierend klare Lösung ein ganz banaler planetarer Überlagerungseffekt heraus – wie konnte ich das übersehen?! Na vielen Dank: Endlich bin ich erlöst und kann nun entspannt zusehen, wie Gott auf seinen "Trabanten" durch die Galaxie reitet wie anno dunnemals der des Belagerns überdrüssige Freiherr aus Münchhausen auf seiner derob ("Wir lesen hier immer wieder Beiträge über zartes Filet vom Reh und delikate Eier der Wachtel und Uns tropft derob der Zahn!") schnurstracks gekaperten Kanonenkugel ...

"Hitlers Tun ein unfreiwilliges Opfer auf einer sehr unerlösten Ebene" – was ist sie wert diese "mythologische Sicht"?
Industrielle Menschenvernichtung in "Millionenstückzahlen" – ein bedauerlicher, aber nicht zu verhindern gewesener astronomischer Zwischenfall, ehrlich?

Was steht denn in den breiten, weißen Zwischenräumen? Hast du dort "Zaubertinte" benutzt? Oder vielleicht magische Feendüfte drübergehaucht? Die dienen doch nicht bloß zur Verzierung, oder? Hey, natürlich interessiert mich das: Wer weiß, welch wichtige Wissensschlaglöcher dort mit einem Geniestreich aufgefüllt werden ...
Spielen die Teletubbies jetzt auch schon Philo-Sophie?

Und ein Knallerzitat hast du ausgegraben! Aus "Aller Anfang ist heiter" usw.?

"Aus dem Größten wie aus dem Kleinsten – nur durch künstlichste Mittel dem Menschen zu vergegenwärtigen – geht die Metaphysik der Erscheinungen hervor. In der Mitte liegt das besondere, unseren Sinnen angemessene, worauf ich angewiesen bin, deshalb aber die Begabten von Herzen segne, die jene Regionen zu mir heranbringen."

Diese "Selbstähnlichkeit" sowie den fraktalen Charakter der Natur gibt's seit den Chaostheoretikern sogar als mathematischen Beweis – deshalb eben: "preciseness vs flippancy im Großen wie im Kleinen."
Der (hl.) Herr Geheimrat nochmal: "Das Allgemeine und Besondere fallen zusammen: Das Besondere ist das Allgemeine, unter verschiedenen Bedingungen erscheinend."
Oder:

"Die Subordination der Teile deutet auf ein vollkommenes Geschöpf [... und] je vollkommener das Geschöpf wird, desto unähnlicher werden die Teile einander."

Aber hier würden wir jetzt in soziologisch-soziologistische Fahrwasser abdriften und müssten uns des Subsidiaritätsprinzips annehmen, womit wir gleich wieder bei Achille Ratti (mit schönem Erinnerungsbild ans "Anno Sancto" 1933 on Wikipedia), dem 11ten Papst Pius, wären, und wer will das schon.

Wie wär's mit folgenden Sprüchen?

"Einem Liegestuhl gegenüber, der aussah wie das Jüngste Gericht – oder, genauer gesagt, einem Jüngsten Gericht gegenüber, das ich nach langer Zeit und mit beträchtlicher Schwierigkeit als einen Liegestuhl erkannte – merkte ich plötzlich, dass ich mich auf der Schwelle zur Panik befand." Aldous Huxley

Aus "Die Pforten der Wahrnehmung":

"Der hoch entwickelte Farbensinn des Menschen ist ein biologischer Luxus – unschätzbar wertvoll für ihn als intellektuelles und spirituelles Wesen, aber unnötig für sein biologisches Überleben. Nach den ihnen von Homer in den Mund gelegten Adjektiven zu urteilen, übertrafen die Helden des Trojanischen Krieges die Bienen wohl kaum in der Fähigkeit, Farben zu unterscheiden. In dieser Hinsicht zumindest ist der Fortschritt der Menschheit gewaltig.
Meskalin verleiht allen Farben erhöhte Kraft und Tiefe und bringt dem Wahrnehmenden unzählige feine Schattierungen ins Bewusstsein, für die er zu gewöhnlichen Zeiten völlig blind ist."

Sagen mir irgendwie mehr zu als "Von Jupiters Throne zuckt der allmächtige Strahl" usw. aus dem "Illuminaten"-Kabinett.

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