July 15, 2010

He sends his fastest nimble sheep out front


07/13'10 Libertinäre Traumtänzer und vorprogrammierte Ordnungsfromme

Habe ich da den Ruf der Präzision vernommen?

Für jemanden, der sich als "frisch, fromm, fröhlich, frei" verkaufen möchte – das FFFF-Kreuz mit den vier Haken ("Im Koppelschloss eines Gürtels war vor hundert Jahren der Buchstabe F in den vier Richtungen der Kreuzesform eingearbeitet: fromm zu sein galt als Normalität." 07/07'10) – jammerst du aber ganz schön rum, Eddie. Und das bestimmt nicht erst seit dem 8. Juni, als du unter der Überschrift "Wir leben in einer jämmerlichen Welt!" tiefe Einblicke in dein katholisches Seelenleben gewährt hast: "Idealistische wie liberalistische Ideale entstammen Träumereien," während "das Entdecken von Programmierungen", eine "auf vorprogrammierte Frequenzen ausgerichtete Empfangsschüssel" und "intentionales Fühlen" deine Welt zu sein scheint.
"Traumtänzer entsprechen nicht einem Menschenbild, das als schon in jeden Menschen integrierte Ordnung – schulisch unterstützt – auf Entdeckung wartet. [...] Wer sich des eigenen Verstandes bedient [eigener Verstand in piusbruderverdächtigen Anführungszeichen], ist als soziales Wesen eingebunden in ein System der Gesellschaft, die nur in psycho-sozialer Vereinheitlichung dem Glück der Menschen auf die Sprünge helfen kann."
Eine "integrierte Ordnung" also, denn: "ohne einen Dirigismus des Kontrollierens entsteht ein heilloses Durcheinander." (am 9. Juni dann unter "Dialogizität")

"Idealistische Ideale"? "Liberalistisch", "Dirigismus" – du lieber Himmel! Sag mal, hast du irgendwelchen Stress?
Wie sich diese "psycho-soziale Vereinheitlichung" nach deinem Geschmack abspielen sollte, machtest du ja am 25. Mai unter der Überschrift "Die Welt liegt im Argen!" bereits deutlich: "Die religiös gespaltenen und gegensätzlichen Dimensionen in Erde und Himmel, Gott und Teufel müssen in einem Dualismus des Denkens als Möglichkeit des Geistes von Kindesbeinen in Kopf und wohl auch Herz gelangen, um nicht bei jeder Veränderung 'aus den Latschen' zu fallen." Denn es gilt ja: "Die im geschichtlichen Verlauf verborgenen Zusammenhänge erzwingen für die irdisch begrenzte Seele den Glauben an die Existenz einer alles umgreifenden Macht, um nicht ständig verzagen zu müssen."

Wow! Die "Gesetzmäßigkeiten der Geschichte" (woher kenne ich das nur?) "erzwingen" also das "Verzagen" jeder "irdisch begrenzten Seele" ("Proletarier" als "ökonomisch begrenzte Seelen"?), weshalb wir alle miteinander "eine allumgreifende Macht" benötigen. Oder in den Worten von Sloterdijk: "Ich glaube, Menschen sind nicht geschaffen um einzusehen, dass die Welt in letzter Instanz keine Zentralintelligenz besitzt. Also ich glaube, wir sind einem solchen Gedanken nicht gewachsen [...] Deswegen haben auch fast alle Kulturen so etwas wie eine Phantasie hervorgebracht – die möchte ich gar nicht unbedingt religiös nennen, sondern das ist so eine Art Volksmetaphysik, die überall hat entstehen müssen – nämlich dass es irgendwo in der Welt eine Zentralintelligenz gibt, die versteht, was geschieht. Es ist ein zu schrecklicher Gedanke sich ausmalen zu müssen, dass wir in einem Zug ohne Lokomotivführer sitzen. Und wenn das Weltall als ganzes, wenn die Evolution als ganze so ein Zug ohne Lokführer sein sollte, dann können wir eigentlich nicht mehr schlafen" usw. – nachzulesen unter "Zentralintelligenz Agency" vom 22. Juni.

Nun scheinst du mir aber in dieser Gesprächsrunde hier ausgerechnet derjenige zu sein, der am wehleidigsten und lautesten rumjammert ... ich meine, was soll das? Willst du mich mit deinen Klagen etwa ins "Verzagen" treiben, nur damit ich an den gleichen Dogmen Wache schiebe, die dich erst zum Jammerlappen werden ließen? Und sollte Sloterdijk vielleicht angesichts jener von dir beschworenen, achso schrecklichen "verborgenen historischen Zusammenhänge" ein wenig mehr Verzagtheit zur Schau stellen? Auch wenn er sich (zu meinem Erstaunen) in dieses wir, die "wir einem solchen Gedanken nicht gewachsen sind," offenbar bereits treugläubig (freimaurerisch?) mit einschließt?

07/13'10 Volksmetaphysische Demarkationszone

Kennst du zufällig Liz Gilbert's phantastischen "TED Talk" on nurturing creativity: "Being a genius or having one?"

"People believed that creativity was this divine attendant spirit that came to human beings from some distant and unknowable source, for distant and unknowable reasons. The Greeks famously called these divine attendant spirits of creativity 'daemons'. Socrates, famously, believed that he had a daemon who spoke wisdom to him from afar. The Romans had the same idea, but they called that sort of disembodied creative spirit 'a genius'. Which is great, because the Romans did not actually think that a genius was a particularly clever individual. They believed that a genius was this sort of magical divine entity, who was believed to literally live in the walls of an artist's studio" ...

Lass uns doch mit diesem "persönlichen 'Gespräch' mit der eigenen Geisteswelt", dem "Eintauchen in eine Geisteswelt (in Konfrontation zur üblichen Daseinsnormalität), wodurch Koordinaten des Geistes neu justiert" werden (29.Juni'10) mehr auf sloterdijk'sche Weise in einer Art (neutralen) "volksmetaphysischen" "Demarkationszone" beginnen, wo sich monotheistische Geistlichkeit und schamanistische Ganzheitlichkeitsvorstellungen sozusagen unbewaffnet gegenüber treten können ... ich fasse nämlich das, was du über die "konzentrische Geistesstruktur der Engelwelt", "verehrte Geistespersönlichkeiten" im Gewand von Musen, Carlos Castanedas spirituelle Abenteuer oder das "Leib-Seele-Geist-Wesen Mensch" und die "Wundergläubigkeit" schreibst sowie Sätze wie "Das Wissen von Schamanen wurde im Leben von Jesus und auch von Anhängern Seiner Lehre himmelweit übertroffen" und "Dazu muss keiner zu den Schamanen gehen" durchaus als Gesprächsangebot auf. Und wenn "(nach deinen Erfahrungen) seit 50 Jahren keiner etwas von der Herkunft von Vorahnungen" und ähnlich gelagerten mysteriösen Vorgängen wissen will, dann könnte dieses "lange Warten" jetzt vorbei sein.

Ich hatte dir auf deine "60 Generationen" hin und deren für das "Forschen nach der Wahrheit" so "ungeheuer wichtigem" "überliefertem Religionswissen" ("eine moderne Form der Idiotie", dies "für null und nichtig zu erachten") entgegengehalten, dass mehr als 50 davon illiterat waren" und darüber hinaus dein gesamtes Auftreten mit "notorischem Mummenschanz" etikettiert. Nun fühlst du dich "fast wie ein Vollidiot behandelt", nur weil du aus deiner Sicht versuchst, "religiöses Glaubenswissen", also eben jenes "ja schon vorhandene Wissen von Gott" "präzise darzustellen". Dazu eine Frage:
Mir ist soweit klar, weshalb doktrinärer Erlöserglaube und dogmatisches Textwissen für dich persönlich wichtig sind, aber wieso legst du soviel Wert darauf, dich mit jedem einzelnen unter dieser einen, absolutistischen Frömmigkeit der römischen Bischöfe "psycho-sozial" zu vereinen? Ist Ordnung dein zentrales oder sogar einziges Lebenselixier? Heil den Regenten! Bis hin zur Planwirtschaft als Extremform des Dirigismus?

American Gangster (2007)

@ 15 min:

"Who can live like that? There has to be order.
That would never happen with Italians. More important than any one man's life is order."

@ 19 min:

"A leader like a shepherd, he sends his fastest nimble sheep out front and the others will follow while the shepherd, he walks quietly behind it. Now he's got the stick and the cane, he will use it if he has to. But most times he doesn't have to, he moves the whole herd quietly."

"Das Bild von dem einen Hirten und einer Herde" – "more important than any one man's life" ...
Ich werde oft auf das Thema Ordnung zurückkommen, schon deshalb, weil sich Hierarchietheoretikern verblüffend selten erschließt, dass Bürokratenmacht, wofür die imperiale Priester-Nomenklatura einschließlich ihres systemimmanenten Personenkults ja das älteste und "leuchtendste" Paradebeispiel abgibt, nicht erst mit Befehlsketten einsetzt, sondern bereits bei Ordnung an sich und ganz besonders der Ordnung im Geiste.
Bleiben wir zunächst auf rein geistigem Terrain.

07/13'10 Kino ist die neue Kirche

"Waren nicht die Wochenschauen der 30er und 40er Jahre eine Vorstufe moderner medialer Möglichkeiten, in hemmungsloser Weise Propaganda-Effekte bis in das Wohnzimmer zu bringen," fragtest du am 7. Juli in die Runde, worauf sich die erste Antwort (weitgehend bestätigend) wie folgt anhörte: Damit "ging es los, diese Informationsberieselung ... und so schön in Bild und Ton. Direkt eine Konkurrenz für 'die Kanzel', die bis dahin ein Monopol an Berieselung mit 'Wahrheit' hatte, besonders für jene, die nicht mal lesen konnten: Alle sieben Tage bekamen die vorgekaut, was Trumpf und Bildung ist ... und dann schieden sich die Geister."

"Dann schieden sich die Geister" – ach wirklich, crypto? Glaubt ihr beide im Ernst, dass sich ein Herrschaftssystem, das erstens tausend Jahre unangefochtene Herrschaft über Europa und seine Kolonien auf dem Buckel hat und sich zweitens wie kein anderes auf Propaganda und geistliche Dominanz versteht, eine solche Superkanzel einfach so durch die Lappen gehen lässt? Glaubt ihr das, ja? Nur weil nicht mehr Kirche draufsteht, soll in Kino keine Kirche drin sein?

Hey, Kino ist die neue Kirche: Nicht nur dass Hollywood die Bischofsweisheiten mit Wucht wie in O. Stones "World Trade Center" oder "JFK" sowie in feinergetunten Nuancen à la "The Matrix" und "Fracture" transportiert, eine Konkurrenz-Kirchenmafia namens Scientology fördert und die täglichen News-Einflüsterungen mit bildgewaltiger Dramaturgie unterfüttert, dieser Kulturrückfall in mittelalterlich-militaristische Totalbarbarei wäre ohne Wochenschauen und Volksempfänger kaum möglich gewesen (einschließlich der Finanzkrise versteht sich, mit der Hitler als alles überragender, quasi heiliger Wohltäter drastisch eingeführt werden konnte). Und wie leicht sich mit TV-Apparaten prinzipiell regieren lässt, darüber brauchen wir wohl kaum zu diskutieren ... Ich würde sagen fast noch leichter als mit einem "Buch von Gott", dessen Sprache niemand spricht und dessen Besitz als Hochverrat geahndet wird.

Für wie viele von deinen 60 Generationen gilt denn: "Das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet, so wie sie durch das geoffenbarte Wort Gottes und durch die Vernunft selbst erkannt wird [...] Sie sind auch dazu verpflichtet, an der erkannten Wahrheit festzuhalten und ihr ganzes Leben nach den Forderungen der Wahrheit zu ordnen [...] ist das Recht auf religiöse Freiheit nicht in einer subjektiven Verfassung der Person, sondern in ihrem Wesen selbst begründet." Dignitatis Humanae
Na, für wie viele? Gerade mal 1,5.
Und glaubst du, die Brüder-Väter hätten freiwillig eingelenkt?

"Obstare principiis?" Was soll das denn?
Natürlich hast man es als (bislang) einziger, der für das obligatorische christliche Hintergrundrauschen sorgen "muss", nicht gerade leicht, aber willst du deshalb wirklich gleich wieder einen auf "Hans-Werner" (Sinn) machen: "Manager als die Juden von heute – das ist als Vergleich monströs. Und er war gewollt, ungeachtet der Entschuldigung, damit sich alle aus der Branche dahinter versammeln können, auf dass sich jede Kritik an ihnen verbiete. Sie wollen sich ihr Fehlverhalten nicht eingestehen, nicht am Pranger stehen. Darum hat sich auch niemand, kein einziger Manager oder Forscher, umgehend oder nach etwas Bedenkzeit von Sinns Worten distanziert. Hieran zeigt sich ihr Geist. Das Selbstbild dieser vermeintlichen 'Klasse' wird zum Problem. [...] Was haben sich die Blüms, Geißlers, Seehofers nicht alles von Managern und sogenannten Experten anhören müssen. Wie haben die verächtlich über diese 'Herz-Jesu-Marxisten' gesprochen. Seit Anfang der 90er Jahre ging es ums Soziale, und heute wissen wir: Wirtschaftsweise sind oft dumm genug, weiter so zu tun, als hätten sie immer schon alles gewusst. [...]auch Keynes wird inzwischen wieder beifällig 'Lord Keynes' genannt und steht in gutem Ruf. So sehr, dass viele, viele nach seinen Rezepten rufen." Tagesspiegel, 28.Okt.'08, Casdorff

Dein Gott ist reine Chuzpe!
Wenn du unbedingt rumjammern musst, dann bitte wenigstens nicht an den völlig falschen Stellen.

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