June 20, 2010

Der wirkliche Mensch in der Hintertür


06/18'10 Theatralische Dominanz

Im Prinzip richtig, doernchen, das Thema des Einschmelzens von Ideologie-Versatzstücken gehört zu den zentralsten überhaupt, trotzdem stimme ich dir nur bedingt zu, weil hinter meiner "Vereinnahmung" von Marx und Mozart doch mehr steckt, als du jetzt vermutest.

"A detailed study of this exam paper was recently made in Italy by two famous Italian musicologists, Professor Luca Bianchini and Professor Anna Trombettta, both of which are experts in 18th century music and in 18th century opera and church music. They have concluded that W.A. Mozart, during this Rome period of his life, knew virtually nothing of musical harmony or orchestration and had never even studied these subjects at any time in his life."

Robert Newman, Musikwissenschaftler aus England, wird 2011 ein Buch veröffentlichen, in dem er – nach 20 Jahren Tiefenrecherche – detailliert nachweist, dass man unter "Mozart" eher sowas wie "Rock 'n' Roll" oder "Jazz" zu verstehen hat, kein über alle Maßen begnadetes Wunderkind. Eine Musikrichtung also, denn die Liste der Kompositeure ist lang ... "The Manufacture of Mozart".
Mit dem Marxismus, der auf eine "DDR im Dschungel" entlang des Rio Uruguay mit unüberwindlichen Stromschnellen und Wasserfällen als Vorläufer von Mauer und Eisernem Vorhang zurückgeht, verhält es sich ähnlich. In Wirklichkeit war Karl Marx der Freund der Banker, nicht der der Billiglöhner – kein Illuminat zwar, aber eingeschworen in die höchsten Dienstränge der "Königlichen Kunst".
Die kulturweite Herrschaft mit geheiligten Ikonen gehört zu den ältesten Machttechniken disziplinierter Priesterkohorten und spiegelt sich u.a. im göttlichen Status der europäischen Königshäuser oder den Heroen der Antike wider. "The Manufacture of Francis of Assisi" and "The Manufacture of Shakespeare" wären gleich die nächsten Themen, außerdem halte ich Auguste Comte für einen faszinierenden Fall und, wie du mitbekommen haben dürftest, the manufacture of the controlled "9/11" terror controversy. Spielberg, Murdoch, die Ehrenringträger der Görresgesellschaft – das sind alles Agenten Roms. Die unsichtbare Partei der Papisten ist erdrückend und ihre theatralische Wucht simply unbelievable ...

Ich würde ja raten, ganz besonders was die Schmelztiegel-Qualitäten betrifft, den "feinen" Unterschied zwischen zentralistisch-absolutistischem, monarchistisch-feudalistischem, kanonisch-inquisitorischem Christentum und den protestantischen Kirchen nie zu vernachlässigen, selbst wenn der Protestantismus längst jeden Protest begraben hat und sich auf Schleichpfad heimwärts zu Mutter Columbia befindet, während den römischen Priesterapparat seit den 60ern ein scheinprotestantisches Feigenblättchen schmückt (die Piusbrüder ausgenommen).

Du siehst, mein Argument ist weder dahergeredet, noch an den Haaren herbeigezogen. Es ist verknüpft nach mehreren Seiten und wird begleitet von unterschiedlichen Resonanzen:

"'Was man in vielen Jahren mit großen Armeen und gewaltigem Geldaufwand nicht hatte erreichen können, [...] das vollbringen die Jesuiten in kurzer Zeit, ohne jedes andere Hilfsmittel als ihren Eifer. Aus Feinden machen sie Freunde, aus den wildesten und unbändigsten Völkern gehorsame Untertanen Eurer Majestät.'
Unendliche Ländereien hatten somit die Missionare aus der Gesellschaft Jesu im Laufe der Zeit für die weißen Kolonisten erschlossen. Sie hatten [...] für ihre Nationen mehr Land erobert als die größten Heerführer, und indem sie durch Milde selbst die wildesten Stämme gefügig zu machen wussten, schufen sie vielfach erst die Grundlagen für das Aufblühen der amerikanischen Kolonialgebiete."

Diese überragenden Assimilationsfertigkeiten sind auch der Grund, weshalb ich mich nicht scheue, den verletzenden Begriff des Bürger-Borg zu etablieren, obwohl da noch schwerwiegendere Überlegungen mit hineinspielen.
Danke für die Anregung, und sollte ich wieder mal "das Pferd von hinten aufzäumen", nur raus mit der Sprache. I know it's complicated.

06/19'10 Du sollst stehlen und lügen

Frank Meyer) "Ich staune darüber, mit welcher Chuzpe, mit welcher – manchmal scheint es mir – Dreistigkeit, fast Frechheit die sagen, ja jetzt ist's schiefgegangen, jetzt müssen wir schauen ... ich sehe niemanden, der zerknirscht ist. D.h., wenn ihr Gebot nicht ist, du sollst nicht stehlen, sondern du sollst stehlen, bist du nicht zerknirscht, wenn du gestohlen hast, und es geht schief – du hast dir ja das Gebot zurecht gelegt: Du sollst stehlen!
Sloterdijk)
Ja, man hat es sich selbst so zurecht gelegt, und wir können das an fast allen Protagonisten der jetzigen Szene in persona festmachen.
Unglücklicherweise handelt es sich bei der meist kritisierten Persönlichkeit im deutschen Finanzbereich sozusagen um einen Schweizer Staatsbürger, wenn ich richtig sehe. Herr Ackermann hat im Juni 2007 vor der versammelten Elite der SPD in Berlin einen inzwischen viel zitierten Vortrag gehalten, in dem er ihnen erklärt hat – so ein bisschen von oben herab – ihr kleinen Nichtwisser, ihr habt ja überhaupt keine Möglichkeiten zu begreifen, dass die neuen Instrumente, die wir besitzen, dazu da sind, eine fast hundertprozentige Kontrolle über die Risiken auszuüben. Und hat ihnen auf die Schulter geklopft und hat gesagt, macht euch keine Sorgen, wir haben diese Dinge alle im Griff. Und die braven Genossen sind aus dem Willi-Brandt-Haus hinausgeschlichen in einen schönen Sommerabend und haben sich gesagt, 'ah, der hat's uns wieder mal richtig gezeigt.' Ein Jahr später behauptet er, die Sache mit Lehmann geht doch noch gut – er wird nicht zur Rechenschaft gezogen.
Mit anderen Worten: Unseres moralisches Problem hat eigentlich mit einem Gebot zu tun, das in den zehn Geboten gar nicht ausgedrückt wird. Es gibt ja keines, das sagt, du sollst nicht lügen. Und im Augenblick heißt das Hauptgebot all derjenigen, die an der Krise teilnehmen: Du sollst solange lügen, bis die Welt wieder in Ordnung ist, bis alles sich beruhigt hat. D.h., wir wollen durch eine konzertierte Lügenaktion, die wirklich transatlantische und transpazifische Dimensionen annimmt ... wir wollen durch eine konzertierte Lügenaktion diese Krise aus der Welt schaffen.
Und das Interessante ist, die ganze Politik ist jetzt Psychologie geworden: Alle reden so, wie man mit einem kranken Kind redet. Das kranke Kind aber ist der vernünftige Bürger, der sich Sorgen macht um seine Spareinlagen.

M.) Eigentlich der Vernünftigste, wenn wir sehen, wie die Bürgerinnen und Bürger noch gelassen sind. Die belagern ja nicht in langen Kolonnen die Banken.
S.) Schon gar nicht in der Schweiz. Im Augenblick richten sich die Blicke der Weltöffentlichkeit auf die Schweizer Ausnahme, weil man sagt: 'Warum regen die sich nicht auf? Wir sind alle in Panik, und die Schweizer schlafen gut – was geht das schief, wer hat recht? Diejenigen, die noch weiterhin gut schlafen können oder diejenigen, die in Panik geraten?'
M.) Ja gut, da geht die Frage an Sie: Kann es auf dieser Basis des Lügens gelingen dies zu beruhigen oder nein, das Problem sogar zu lösen (beruhigen ist ja das eine)?
S.) Ja, man muss sozusagen die Lüge bis zu einem Grad herunterfahren, bis ihr Risikogehalt nicht mehr größer ist als der eines haltbaren Versprechens.
M.) Das müssen Sie noch 'ausdeutschen' ...
S.) Ein haltbares Versprechen ist ja auch ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft, aber – und das hat Hannah Arendt einmal sehr schön zum Ausdruck gebracht, indem sie sagte – die sicherste Methode die Zukunft zu erkennen, besteht darin, ein Versprechen zu geben und dann selber dafür zu sorgen, dass es gehalten wird [see 'Memento' by Christopher Nolan]. Mit anderen Worten: Ich selber werde dann ein Vektor in die Zukunft, ich selber setze sozusagen den Pfeil in die Zukunft, und ich treffe dann auch, wenn ich mein Versprechen halte. Ich schieße nicht nur einen Pfeil ins Blaue. Wir haben ja mit diesem ganzen Finanzsystem eine ganze Artillerie von Pfeilen ins Blaue abgeschossen – die können nur daneben gehen."

06/19'10 Spielfelder für mathematisierende Spinner [censored]

S.) "Wir müssen also diese Hochstapelei wieder abbauen und die Dinge, die ins Ungarantierte, d.h. ins Zukünftige, deuten, so konsolidieren, dass sie nicht ...
M.) Redimensionieren.
S.) Ja, redimensionieren, und zwar so, dass ihr Risikogehalt nicht mehr größer ist als der eines ernsthaften Versprechens. D.h. wenn sich zwei Eheleute gegenseitig die Treue bzw. 'die Kooperation' versprechen, die man unter dem schönen Begriff 'Ehe' diskutiert – beide meinen es ernst – dann tun sie etwas, was sie noch nicht können, aber was sie sozusagen lernen, indem sie es tun. Genauso sind alle anderen zukunftsgerichteten Tätigkeiten beim Homo sapiens auch angelegt. Und dazu passen aber Derivatgeschäfte nicht. Und dazu passen all diese wunderbaren Zertifikate nicht.
Das Wort Zertifikat hätte einen ja von Anfang an nervös machen müssen, denn es gibt Wörter, denen man ansieht, dass sie neurotisch sind, und das Wort 'Zertifikat' ist ein total neurotisches Wort, so wie der Name der Stadt Karlsruhe ja auch ...
M.) Bitte erklären Sie, warum das Wort Zertifikat neurotisch ist!
S.) Es heißt ja, ich bin ein Sicherheitsversprechen. Zertifikat heißt: Ich bin so gewiss wie das Gewisse. Davon gehe ich aber als Benutzer eines Banksystem von vornherein aus, und wenn ein Zertifikat das von sich sagt, dann lügt es. D.h., die Lüge ist im Wort. So wie die Stadt Karlsruhe ja auch jedes psychoanalytisch geschulte Ohr sofort alarmiert, weil man sich sagt, da muss es ganz wild zugegangen sein, dass sich ein Ort so nennt. Und es stimmt ja auch, denn der Fürst, der das gemacht hat, hatte 50 Geliebte dort untergebracht.
M.) Peter Sloterdijk, das ist ja wunderbar, aber ich will noch auf die Psychologie kommen. Es gab ja diese Idee des Homo oeconomicus – das ist so der Homunculus der Neoliberalen. Das ist ihr Neuer Mensch! Interessant: Die wollen ja immer den 'Neuen Menschen' haben. Die haben ihn jetzt auch erfunden – das ist der völlig ökonomisch handelnde Mensch, dem sie ein völlig rationales Handeln zugeschrieben haben, nämlich immer ausschließlich für seine Interessen, also egoistisch. Und daraus leiteten sie, daraus machten sie auch sowas wie mit den Geboten: Sie kehrten alles um. Sie sagten, Egoismus ist Altruismus – letztlich, als Mechanismus. Aber das hat ja nicht funktioniert, es gibt diesen egoistisch-rationalen, im Bezug aufs Egoistische rationalen Menschen nicht. Daran ist es ja auch gescheitert.
S.) Das bedeutet, dass wir seit 200 Jahren eine Wirtschaftswissenschaft haben, die keine Wissenschaft ist.
M.) Vielleicht ist es Theologie?
S.) Es ist eine verkappte Theologie in vielen Teilen, und zwar eine Wissenschaft, die ihre Unwissenschaftlichkeit hinter einem riesigen Aufwand an Mathematik verbirgt. Das kann man übrigens in allen Wissenschaften sehen: Je unwissenschaftlicher sie sind, desto mathematischer werden sie. Auch die positivistische Psychologie unserer Tage, die den Menschen eigentlich überhaupt nicht mehr kennt, arbeitet sehr gern mit mathematischen Modellen, und die Wirtschaftswissenschaft im letzten halben Jahrhundert ist ja ein reines Spielfeld für mathematisierende Spinner geworden. Und diejenigen wie Herr Phelps z.B. bekommen jetzt den Nobelpreis dafür, dass sie den richtigen, den normalen Menschen wiederentdecken. Dass sie sozusagen durch die Hintertür den wirklichen Menschen in die Ökonomie zurückführen. Man hat jetzt 200 Jahre lang mit dieser anatomischen Puppe – zum Modellzeichnen benutzt man solche Figuren – den Homo oeconomicus überausgebeutet, er gibt nun wirklich nichts mehr her. Und wir haben den Menschen eben auch als ein gieriges Wesen falsch beschrieben: Er ist eigentlich vielmehr Spieler als gieriges Wesen.
Er hat übrigens ja auch ein zweites Hauptantriebssystem neben dem Leichtsinn und neben der Erotik und neben den begehrenden Griffen, die er zu machen geneigt ist. Er hat ja auch einen Stolz. Er hat ja auch einen Gebe-Trieb – das darf man ja nicht vergessen. Der Mensch ist ja nicht nur ein Nehmer. Die Wirtschaftswissenschaft hat den Menschen immer nur als nehmendes Wesen aufgefasst, aber nicht begriffen, dass Menschen wahrscheinlich noch höhere Genugtuungen erleben, wenn sie geben."

Das Video gibt es in voller Länge übrigens noch bei Pickings.de oder im Betonblog.

0 comments: